MÜNCHNER WEHR GEBROCHEN: EINE NEUE CHANCE FÜR DIE ILM
BAD BERKA (IFFV). Die Natur scheint in der Lage zu sein, die ihr von Menschenhand zugefügten Wunden selbst zu heilen: Ausserordentlich kräftiger Eisgang und seit mehreren Wochen stark erhöhter Wasserstand können einem altersschwachen Wehr ganz schön zu schaffen machen – oder es komplett brechen lassen.
So geschehen in der Nacht vom 1.-2. März 2002 am "Münchner Wehr" zwischen Tannroda und Bad Berka. Den Passanten bot sich am Samstag Morgen ein völlig neues Bild. 
Dort, wo die Ilm bisher durch das Wehr nahezu zum Stillstand gebracht wurde, klafft nun ein sechs bis sieben Meter breites Loch, links und rechts sind nur noch hohlgespülte Fragmente des Wehres übrig und nun ist eine Rausche entstanden, die jedem Mittelgebirgsbach zur Ehre gereichen würde.
Ob der im Zuge der WKA Martinswerk komplett erneuerte Schieber am Turbinengraben mit zum Einbruch beigetragen hat - dort konnte bis vor einem Jahr das Wasser bei ansteigendem Pegel abfließen und damit das betagte Bauwerk entlasten - sei dahin gestellt. Entscheidend ist letztlich, dass sich hier die Natur selber geholfen hat und die Ilm nun wieder auf einer Länge von fast 10 km wieder ungehindert fließen kann.
Und mehr noch: Das erst vor kurzem beschlossene und von allen politischen Fraktionen getragene Wanderfischprogramm hat zwar zum Ziel, die vorhandenen Gewässerverbauungen fischdurchgängig umzugestalten, aber die dafür erforderlichen finanziellen Mittel müssen erst noch bereit gestellt werden. Dies dürfte jedoch bei der angespannten Haushaltssituation äußerst kompliziert sein.
So hat der Bruch des Wehres letztlich zwei positive Nebeneffekte: Zum einen hat sich die Vitalität des Flusses erheblich verbessert und zum anderen bleiben dem Thüringer Finanzhaushalt nicht unerhebliche Ausgaben erspart. Vielleicht sollte einmal geprüft werden, ob nicht aus dieser Situation heraus ein Modellprojekt im Rahmen des Wanderfischprogramms, quasi zum "Nulltarif", entwickelt werden kann. Ein Wiederaufbau erscheint unter den gegeben Umständen wenig sinnvoll, da den dafür notwendigen erheblichen Aufwendungen nahezu kein wasserwirtschaftlicher Nutzen entgegen steht.
Und nach den harten Schlägen, die die Ilm in den letzten Jahren durch Verunreinigungen und Trockenlegungen hinnehmen musste, hat der Fluß nun auch einmal etwas Positives verdient. Wir sollten der Natur diese Chance lassen, die sie sich selber gegeben hat und den Fluß nun so belassen, wie er ist.
Pressmitteilung des Ilmtal-Fliegenfischer Vereins Bad Berka vom 02.03.2002
Foto oben: Ilm am gebrochenen Münchner Wehr, aufgenommen am 02.03.2002 gegen 15:30 Uhr. (Foto: Michael Müller)
Andreas Kirsch, Geschäftsführer VANT, dazu:
Die Ilm hat zur Selbsthilfe gegriffen und sich aus eigener (Wasser)Kraft renaturiert. Dieses Werk der Natur sollte als Beispiel nachhaltiger Renaturierung und Wiederherstellung einer natürlichen Gewässerökologie in seiner jetztigen Form belassen bleiben. Immerhin hat sich die Ilm an dieser
Stelle bereits zum zweiten mal erfolgreich gegen ihre Vergewaltigung durch die Wasserkraftnutzung gewehrt.
Was das Bundesumweltamt von der ökonomischen und ökologischen Effizienz kleiner Wasserkraftwerke hält, ist in der Süddeutschen Zeitung (siehe unten) nachzulesen. Beide Meldungen sollten endlich auch die Thüringer Politik vor allem aber die verantwortlichen Verwaltungsstrukturen zum Umdenken und und
verantwortungsbewussten Abwägen im Sinne des Erhalts der letzten naturnahen Fließgewässer bewegen.
Süddeutsche Zeitung vom 26.02.2002:

Flussleiden. Schwere ökologische Schäden.

In Deutschland ist die Wasserkraft die meist genutzte erneuerbare Energiequelle. Im Bundesdurchschnitt werden vier Prozent des gesamten Stromes durch Wasser gewonnen. Die Vorteile: Die Technik ist einfach, die Wirkungsgrade erreichen bis zu 90 Prozent und moderne Regeleinrichtungen garantieren weitgehend automatische Abläufe, deren Betriebskosten niedrig sind. Bei einer Wasserkraftanlage nutzt man meist das Gefälle eines Flusses und leitet das Wasser durch eine Turbine zur Stromerzeugung. Oft wird das Wasser vorher aufgestaut, um einen höheren Wasserdruck und eine bessere Stromausbeute zu erzielen. Wegen der natürlichen Gefälleverhältnisse wird besonders in Bayern und Baden-Württemberg das Wasser zur Energieerzeugung genutzt. 

Obwohl das Potenzial der Wasserkraft  in Deutschland schon zu 70 Prozent ausgeschöpft ist, werden vor allem in naturnahen, kleinen Gewässern Wasserkraftanlagen installiert, um das restliche noch vorhandene Potenzial auszunutzen. Bund und Länder unterstützen dies finanziell. Eine tolle Sache, ganz im Sinne des Umweltschutzes, oder? 

Fische wandern nicht 

Nicht ganz: Gerade bei kleinen Wasserkraftanlagen bis 1000 Kilowatt elektrische Leistung gibt es einen erheblichen Konflikt zwischen Klimaschutz und Gewässerschutz. Zu dieser Erkenntnis kommt die Studie „Wasserkraftanlagen als erneuerbare Energiequelle“, in der Experten des Berliner Umweltbundesamtes (UBA) die rechtlichen und ökologischen Aspekte der Wasserkraftnutzung in Deutschland untersucht haben. 

Die Kernaussage: Die Aufstauung der Flüsse verursacht schwerwiegende ökologische Schäden in den Gewässern. Der natürliche Lauf, die Strömung und die Wasserstände werden verändert – mit negativen Folgen für das komplette Ökosystem und die Gewässergüte. Da sich die Fließgeschwindigkeit des Wassers verringert, verschlammen die Flüsse. Die Stauanlagen verhindern die lebensnotwendigen Wanderbewegungen von Fischen, die nicht mehr zu ihren Laichgründen gelangen, weil oftmals funktionsfähige Auf- und Abstiegshilfen fehlen. Tier- und Pflanzenarten, die ohnehin schon als gefährdet gelten, verschwinden. Zudem gefährdet der Betrieb der Wasserkraftturbinen die Fische. Vor allem Jungtiere kommen zu Schaden. 

Im Vergleich des ökologischen Nutzens der kleinen Wasserkraftanlagen in Form des eingesparten Kohlendioxid-Ausstoßes mit den Verlusten in der Natur, kommt die UBA-Studie zu dem Schluss: Die noch wenigen verbliebenen naturnahen Gewässer sollten von Wasserkraftwerken frei bleiben. Schließlich würden die an diesen Gewässern oftmals geplanten Kleinstanlagen mit einer Leistung bis zu 100 Kilowatt auch besonders teuren Wasserkraftstrom erzeugen. Da die Kosten in der Regel über den Sätzen der Vergütung nach dem Erneuerbare-Energien-Gesetz (EEG) liegen, wäre für einen wirtschaftlichen Betrieb eine Investitionsförderung erforderlich. 

Aus volkswirtschaftlicher Sicht gelte daher: Je geringer die Leistung der Anlage und je naturnäher das Fließgewässer, desto ungünstiger das Kosten/ Nutzen-Verhältnis. Sinnvoller ist es nach Ansicht der UBA-Experten, aus den bestehenden Kraftwerken an großen Flüssen das Optimum an Leistung herauszuholen. Wo ein großer Fluss ohnehin als Schifffahrtstraße oder aus Hochwasserschutzgründen aufgestaut ist, mache die zusätzliche Nutzung zur Wasserkraftgewinnung ökologisch Sinn. 

Schwallbetrieb verbieten 

Auf diese Weise durch Wasserkraft zu mehr Strom zu erzeugen, ist auch wesentlich kostengünstiger als der Neubau von Kleinstwasserkraftanlagen. Damit die Optimierung und Modernisierung dieser Wasserkraftanlagen gegenüber der Stromerzeugung mit fossilen Brennstoffen oder Kernkraft wirtschaftlich attraktiv wird, sollte das EEG auf große Wasserkraftanlagen ausgedehnt werden. Generell seien beim Neubau oder der Reaktivierung von Anlagen die Anforderungen des Gewässerschutzes unbedingt zu berücksichtigen. 

Ein Aufstauen des Gewässers sollte vermieden und dessen Durchgängigkeit erhalten werden. Auflagen für den Mindestwasserabfluss seien vorzugeben und zu kontrollieren, die Schädigung von Fischen durch Turbinen mittels technischer Maßnahmen zu verringern. Die Studie empfiehlt, den Schwallbetrieb – das Aufstauen und einmalige Ablassen durch die Turbinen bei erhöhtem Energiebedarf – ganz zu untersagen. 

Um die Planung von Wasserkraftanlagen von Beginn an möglichst umweltgerecht und für die Betreiber wirtschaftlich zu machen, sollte eine „Positivkartierung“ aller potenziellen Standorte erfolgen. Im Klartext: Auf entsprechenden Karten sollten alle Standorte ausgewiesen werden, an denen Anlagen aus Gewässerschutzsicht vertretbar sind und sich wirtschaftlich lohnen. 

Dieter Thierbach