Thüringer Landesanstalt für Umwelt und Geologie,
Referat 31
Arten- und Biotopschutz, Vogelschutzwarte
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Tel.: (03641)684 350
Az: 31-64282- Wie

Kormoran-Schlafplatzzählung 2002/2003

Sehr geehrte Damen und Herren,
nachfolgend übersende ich Ihnen den Abschlussbericht über die gemeinsame Kormoran-Schlafplatzzählung 2002/2003, wie er auch am 25. Juli von der TLUG
an das Thüringer Ministerium für Landwirtschaft, Naturschutz und Umwelt geschickt worden ist. Ich möchte mich an dieser Stelle noch einmal ganz ausdrücklich für Ihre wertvolle Mitarbeit bedanken, insbesondere aber möchte ich Herrn Dr. Alfons Kurz danken, der einen umfassenden Textentwurf für den vorliegenden
Abschlussbericht vorbereitet hatte. Das Gesamtergebnis kann sich sehen lassen. Schließlich sind dies die ersten verlässlichen Angaben, die gemeinsam von Vertretern der Angel-, Fischerei- und Naturschutzverbände zum Durchzugs- und Rastgeschehen des Kormorans in Thüringen ermittelt worden sind.
<<Bericht-TMLNU.rtf>>
Mit freundlichen Grüßen
Im Auftrag
gez. Dr. J. Wiesner
Der Versand dieses Schreibens erfolgt elektronisch ohne Unterschrift.
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Der Rastbestand des Kormorans im Winterhalbjahr 2002/2003 in Thüringen
 - Ergebnisse der synchronen Schlafplatzzählungen

1. Einleitung

Die rasche Zunahme der im Winterhalbjahr rastenden Kormoranbestände (Phalacrocorax carbo sinensis), die in Thüringen vor allem zwischen 1993 und 1997 erfolgte, hat zu anhaltend heftigen Diskussionen zwischen Anglern, Fischern und Naturschützern geführt. Strittig sind dabei nicht nur die ökologischen, sondern vor allem die ökonomischen Auswirkungen der gravierenden Zunahme einer fischfressenden Vogelart. Umstritten ist auch, ob es rechtlich und naturschutzfachlich vertretbare Maßnahmen gibt, die die in aller Regel nur pauschal bezifferten Schäden verhindern oder zumindest mindern können.

In einer solchen Situation ist es wichtig, die Diskussion durch die Bereitstellung zuverlässiger und von beiden Seiten akzeptierter Daten zu versachlichen. Im Ergebnis der Beratung vom 22. April 2002 beim Herrn Minister Dr. SKLENAR wurde daher festgelegt, dass im Winterhalbjahr 2002/2003 thüringenweit eine gemeinsame Kormoranzählung durchgeführt werden soll, bei der Vertreter thüringischer Fischereiverbände und anerkannter Naturschutzverbände vertrauensvoll zusammenwirken. Mit der Koordinierung der Erfassungen wurde die Thüringer Landesanstalt für Umwelt und Geologie (TLUG) beauftragt (Erlass 34 – 64 14 1-7/1 des Thüringer Ministeriums für Landwirtschaft, Umwelt und Naturschutz zur Thüringer Kormoranverordnung - ThürKorVO - vom 08. August 2002). Trotz anfänglicher Zurückhaltung auf beiden Seiten gelang es der TLUG, zunehmend Mitglieder für die gemeinsame Kormoranzählung zu gewinnen. Sehr hilfreich war dabei die Unterstützung durch den Naturschutzbund Deutschland, Landesverband Thüringen e.V. (NABU) und den Verband für Angeln und Naturschutz e. V. (VANT)

An den Zählungen beteiligten sich insgesamt 48 Personen, wobei der NABU mit 30 Personen, der VANT mit 16 Vertretern und der Thüringer Landesangelfischereiverband e. V mit 2 Einzelpersonen beteiligt waren. Der Thüringer Fischereiverband e. V. und der Angel-Fischerei-Verband Ostthüringen e. V. zeigten trotz der Bitte um Mitarbeit keinerlei Reaktion auf die Anschreiben der TLUG vom 25. September 2002.

2. Methodik

Die Rastbestände des Kormorans wurden entsprechend den internationalen Empfehlungen und Erfahrungen (SUTER 1989, TRAUTMANNSDORF et al. 1990, LANZ 2001, 2002) durch synchrone Zählungen an den bekannt gewordenen Schlafplätzen ermittelt.

Flächendeckende Zählungen an den Nahrungsgewässern bei Tage sind wegen der Vielzahl der zu kontrollierenden Gewässer fast undurchführbar und bergen die Gefahr von Doppelzählungen umherstreifender Kormorane in sich, wenn diese infolge von Beunruhigungen und Vertreibungen zum nächsten Gewässer fliegen. Zeitlich synchrone Zählungen an allen Nahrungsgewässern Thüringens sind auch aufgrund des immens hohen Personalbedarfs und des damit verbundenen Koordinationsaufwandes kaum zu organisieren.

3. Ergebnisse und Diskussion

Insgesamt wurden im Winterhalbjahr 2002/03 die Kormoranbestände an 28 Schlafplätzen bzw. zeitweiligen Ausweichplätzen zu den einmal pro Monat vereinbarten Terminen simultan registriert. Ausgangspunkt für die landesweiten Zählungen waren die aus den Vorjahren bekannten "traditionellen" Schlafplätze, die auch den Schwerpunkt der Erfassungen im gesamten Winterhalbjahr bildeten. Darüber hinaus waren die an der internationalen Wasservogelzählung beteiligten Ornithologen sowie Vertreter der Angelverbände gebeten worden, alle neu bekannt werdenden Schlafplätze unverzüglich zu melden. Durch schnelle Rückmeldungen von Anglern und Ornithologen war es teilweise möglich, selbst an nur kurzzeitig genutzten Ausweichschlafplätzen Kormorane zu zählen. Zwar kann nicht ausgeschlossen werden, dass nicht alle Ausweichplätze bekannt und erfasst wurden; aber es kann mit hoher Sicherheit davon ausgegangen werden, dass die vorliegenden Ergebnisse vor allem in der zweiten Hälfte des Winterhalbjahres einen nur noch geringen Erfassungsfehler aufweisen.

3.1. Kormoran-Rastbestände

Der Kormorandurchzug in Thüringen beginnt um die Monatswende August/September, um die Jahreswende erreicht er seinen Höhepunkt und endet im Wesentlichen mit dem Wegzug der Kormorane in weiter nördlich gelegene Brutgebiete im April, wobei es einen Nebengipfel im März gibt (vgl. Abb. 1). Diese Phänologie der Bestandsdynamik, wie sie in Bayern seit dem Winter 1988/89 (vgl. FRANZ & SOMBRUTZKI 1991, LANZ 2001, 2002) beobachtet wird, dürfte auch für die in Thüringen durchziehenden und rastenden Kormorane typisch sein.

Abb. 1: Entwicklung der Kormoran-Rastbestände in Thüringen im Winterhalbjahr 2002/2003

Abweichungen von dieser Verlaufsform sind am ehesten in extrem milden Wintern, wenn viele der nördlich gelegenen Standgewässer noch offen bleiben, oder andererseits in besonders strengen Wintern zu erwarten.

Die niedrigste Anzahl rastender Kormorane wurde im September 2002 ermittelt, dabei muss aber angemerkt werden, dass zu Beginn der gemeinsamen Zählungen die Beteiligung und die Kenntnis der Schlafplatzverteilung noch einige Lücken aufwies.

Die höchste Zahl rastender Kormorane wurde mit 1704 Exemplaren Mitte Dezember 2002 ermittelt. Sowohl der Zeitpunkt des registrierten Maximums, als auch dessen Zahl lag im Vergleich mit den bayerischen Verhältnissen (LANZ 2001, 2002) im Rahmen der Erwartungen. An wichtigen Schlafplätzen (siehe Abschnitt 3.2.) wurden schon in den vorausgegangenen Winterhalbjahren hohe Rastbestände (A. KURZ, unveröff.) registriert, die in der Summe etwa die gleiche Größenordnung wie 2002/2003 erreichten. Gegenüber den beiden Vorjahren kam es somit zu keiner erkennbaren Zunahme des Maximalbestandes.

Mitte Januar 2003, dem Zeitpunkt der „Pan Europäischen Kormoran-Mittwinter-Zählung“, wurde mit 1590 Exemplaren nochmals eine relativ hohe Zahl ermittelt. Dem allgemeinen Verlauf entsprechend stieg die bereits im Februar auf 731 Vögel stark gesunkene Anzahl infolge des Frühjahrdurchzuges im März noch einmal auf 960 Kormorane an, sank dann aber im April auf nur noch 253 Vögel.

Damit ergibt sich für die 8 Monate von September 2002 bis April 2003 ein Mittelwert von 807 Kormoranen. Für die Wintermonate Dezember bis Februar errechnet sich ein durchschnittlicher Rastbestand von 1342 Kormoranen.

Tabelle 1: Entwicklung der Kormoran-Rastbestände in den verschiedenen Flussgebieten Thüringens

                   September  Oktober  November  Dezember  Januar   Februar   März   April
Weiße Elster     -                 39           -              0        173        15        167      0
Saale              1                180        342         1192       632        309       415     77
Werra            36                86          157         249        371         242      177     45
Ilm                 0                 0            0             0          95          80        22       0
Unstrut/Helme 20               126         230          263      319         85        159      131
Summe          57                    431         729          1704       1590        731        960      253

Bis zum Dezember konzentrierten sich die Kormorane an wenigen Schlafplätzen an den Flüssen Saale, Werra und Unstrut sowie an den Bielener Kiesgewässern bei Nordhausen. Im Januar trat eine markante Veränderung in der Verteilung der Kormoranschwärme ein. An den Schlafplätzen im Saalebereich sanken die Bestände auf nahezu 50 % des Dezemberbestandes. Demgegenüber erfolgte aber eine Zunahme in allen anderen Flussgebieten. Es fand also lediglich eine Umverteilung statt, ohne dass der thüringische Gesamtbestand signifikant abnahm. Dafür können zwei Ursachen benannt werden: zum einen fanden in dieser Zeit am Schlafplatz Kirchhasel/Rudolstadt intensive Vergrämungen mit Kormoranabschüssen (R. HILLER & R. KAROL, mdl. Mitt.) statt, zum anderen veränderte sich infolge des Januarhochwassers die Erreichbarkeit der Fische in der Saale grundlegend. Eine besonders bemerkenswerte Beobachtung war, dass nach dem Abfließen des Hochwassers in den in der Saaleaue verbliebenen Wasserlachen zahlreiche Fische nicht mehr den Weg zurück in den Fluss fanden. Das führte zu einer auffälligen Konzentration anderer Prädatoren (Graureiher, Mäusebussard, Rabenkrähe), die dieses günstige Nahrungsangebot ausgiebig nutzten. Neben diesem beachtlichen Verlust an Fischen verlor die Saale unterhalb der Saaletalsperren möglicherweise auch durch die langanhaltend hohe Wasserführung und die enorme Strömungsgeschwindigkeit ihre Attraktivität für die Kormorane.

3.2. Schlafplätze

Die vorliegenden Ergebnisse der Schlafplatzerfassung und Zählungen lassen Schwerpunkte erkennen, in deren Umfeld sich die Kormorane auch in diesem Winter wieder konzentrierten. An erster Stelle muss die Saale zwischen der Bleilochtalsperre und Dornburg bei Jena genannt werden. Einen zweiten Schwerpunkt bildete das Unstrut-Helme-Einzugsgebiet mit Schlafplätzen an den Bielener Kiesgewässern sowie am RHB Straußfurt bzw. Speicher Dachwig. Einen dritten Schwerpunkt stellte die Werra mit Schlafplätzen im NSG „Forstloch“ bei Immelborn und am RHB Grimmelshausen dar. In der Regel handelte es sich hierbei um Schlafplätze, die bereits seit einigen Jahren bekannt sind. Schlafplätze im Einzugsgebiet der Ilm und der Weißen Elster in Ostthüringen, aber auch Ausweichschlafplätze an Saale und Werra wurden dagegen von den Kormoranen meist nur kurzzeitig zwischen Januar und März genutzt. Bei der Wahl der Aufenthaltsorte steht der Fischreichtum der Fliessgewässer sicherlich an erster Stelle, erst danach rangiert deren Ungestörtheit. Das Entstehen von neuen Ausweichschlafplätzen, die in der Regel meist nur kurzzeitig genutzt wurden, kann nachweislich mit intensiven Störungen an den traditionell genutzten Schlafplätzen in Zusammenhang gebracht werden. Meist handelte es sich dabei um Vergrämungsabschüsse oder andere jagdliche Störungen. Natürliche Ursachen für einen Ortswechsel der Kormorane stellen in erster Linie die Vereisung der Binnengewässer, aber auch Hochwasserereignisse dar, die die Erreichbarkeit der Fische erschweren oder völlig verhindern.

4. Zusammenfassung

Als Resümee der im Winterhalbjahr 2002/2003 in Thüringen durchgeführten Kormoranerfassung kann Folgendes festgestellt werden:

· Die erste von Vertretern der Fischerei-, Angel- und Naturschutzverbände gemeinsam durchgeführte Schlafplatzzählung war ein Erfolg. Es wurde landesweit ein umfangreiches Datenmaterial erarbeitet. Die nun verfügbaren Bestandszahlen weisen nur einen geringen Fehler auf und werden von den beteiligten Verbänden voll akzeptiert.
· Der mittlere Rastbestand in den Monaten September 2002 bis April 2003 lag bei rund 810 Kormoranen.
· Der durchschnittliche Bestand der Wintermonate Dezember 2002 bis Februar 2003 belief sich auf rund 1350 Kormorane.
· Der höchste Rastbestand wurde am 15. Dezember 2002 mit 1704 Kormoranen gezählt.
· Zur Jahreswende 2002/2003 trat infolge natürlicher Ereignisse (Hochwasser und Eisbildung) und menschlicher Störungen an Schlafplätzen und Nahrungsgewässern eine Aufsplitterung der Rastbestände ein, in deren Folge auch Fließgewässer wie die Ilm aufgesucht wurden, die in den vorhergehenden Monaten vom Kormoran nicht genutzt worden waren.

· Das Prinzip "gemeinsamer" Erfassungen an den Kormoran-Schlafplätzen und der unverzügliche Informationsaustausch über neu entstandene Schlaf- und Ausweichplätze sollte als Voraussetzung für eine möglichst vollständige Zählung auch bei zukünftigen Erfassungen beibehalten werden.

5. Literatur

FRANZ, D., & A. SOMBRUTZKI (1991): Zur Bestandssituation des Kormoran Phalocrocorax carbo in Bayern in den Wintern 1988/89 und 1989/90. – Orn. Anz. 30: 1-10.
LANZ, U. (2001): Der Winterbestand des Kormorans in Bayern – Ergebnisse der Schlafplatzzählung 2000/2001 – Unveröff. Abschlussbericht des LBV im Auftrag des Bayerischen Landesamtes für Umweltschutz. – Hilpoltstein, 18 Seiten.
LANZ, U. (2002): Der Winterbestand des Kormorans in Bayern – Ergebnisse der Schlafplatzzählung 2001/2002 – Unveröff. Abschlussbericht des LBV im Auftrag des Bayerischen Landesamtes für Umweltschutz – Hilpoltstein, 18 Seiten.
SUTER, W. (1989): Bestand und Verbreitung in der Schweiz überwinternder Kormorane Phalocrocorax carbo. – Orn. Beobachter 86: 25-52.
TRAUTMANNSDORF, J., H. P. KOLLAR & M. SEITER (1990): Der Kormoran (Phalocrocorax carbo) als Wintergast an der österreichischen Donau. – Mitt. Zool. Ges. Braunau 5: 147-156.

Danksagung

Allen Personen, die sich aktiv auch bei widrigen Witterungsverhältnissen an den Kormoranzählungen beteiligt haben, sei an dieser Stelle ausdrücklich gedankt. Besonderer Dank gilt Herrn Dr. ALFONS KURZ, der die Erfassungen in Südthüringen koordiniert hat, sowie den Herren JÜRGEN AUERSWALD/Dreba, OLAF LEHMANN /Großfahner, RALF HILLER/Rudolstadt, FRANK HOFFMANN/Gebesee, REINHARD KAROL/Rudolstadt, GERHARD KEMMLER/Rothenstein, RICHARD KRAUSE/Bielen, KLAUS LIEDER/Gera und THOMAS PFEIFFER/Weimar.


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