DEUTSCHER ANGLERVERBAND e.V.

Infos aus der Bundesgeschäftsstelle: DAV-Newsletter vom 5. August 2003

Vermerk der Staatsanwaltschaft Hannover vom 25. April 2003

Eine quälerische Misshandlung i. S. d. § 17 Nr. 2 b TierSchG lässt sich bei sachgerechter Hälterung in einem sog. Schonsetzkescher nach neueren Erkenntnissen nicht begründen. Nach dem von der Staatsanwaltschaft eingeholten Gutachten des Sachverständigen Günther vom 07.04.2003 werden den Fischen weder Schmerzen noch länger anhaltende erhebliche Leiden zugefügt.

Die in Rechtsprechung und Literatur bislang umstrittene Frage, ob Fische überhaupt schmerzfähig sind (vgl. Lorz/Mezger, Tierschutzgesetz, 5. Aufl., § 1 Rdnr. 25 und
§ 17 Rdnr. 43; Ort/Reckewell in Kluge, Tierschutzgesetz, § 17 Rdnrn. 47 u. 78, jeweils mit umfangreichen Rechtsprechungs- und Literaturhinweisen), ist nach dem Gutachten des Sachverständigen Günther im Hinblick auf jetzt vorliegende wissenschaftliche Erkenntnisse neu zu beantworten. Nach den Ausführungen des Sachverständigen ist aufgrund einer amerikanischen Untersuchung von J. D. Rose, The Neurobehavioral Nature of Fishes and the Question of Awareness and Pain. Reviews in Fisheries Science, 10 (1); 1-38 (2002), die in Fachkreisen weitgehend diskutiert und im Wesentlichen unwidersprochen geblieben sind, festzustellen, dass Fische mit hoher Wahrscheinlichkeit kein Schmerzempfinden haben.

Im Gutachten heißt es, bei der Untersuchung von Rose werde von dem weitgehend unbestrittenen Grundprinzip der Neurowissenschaft ausgegangen, dass Nervenfunktionen von spezifischen Nervenstrukturen abgingen. Damit werde gesagt, dass für gleichartige Funktionen eines Gehirns auch gleichartige Strukturen vorhanden sein müssten. Die Form dieser Strukturen bestimme zum größten Teil ihre funktionellen Möglichkeiten. Der grundlegende Unterschied zwischen einem Säugetiergehirn und dem anderer Wirbeltiere (z. B. Fischen) sei bei den Säugetieren die Vergrößerung und weitergehende Differenzierung der Hirnhälften. Das Säugetiergehirn enthalte zahlreiche Verästelungen und Anhänge, die bei Fischen nicht oder nur in elementarer Form zu finden seien. Insbesondere das Neocortex (Hirnrinde) in ihrem sechslagigen Typus bei Säugetieren sei bei Fischen nicht anzutreffen. Aus umfangreichen Untersuchungen sei bekannt, dass die menschlichen Fähigkeiten zur bewussten Wahrnehmung von Erfahrungen und der eigenen Existenz von den Funktionen des ausgedehnten und spezialisierten Neocortex abhingen. Vor allem diese Hirnregion sei für die Ausbildung des Bewusstseins von zentraler Bedeutung, wobei die Gründe hierfür noch nicht vollständig geklärt seien. Es sei jedoch unstreitig, dass die Existenz von Bewusstsein eine weit verzweigte Hirnaktivität erfordere, die bei Fischen nicht vorhanden sei. Das Gehirn von Fischen besitze in qualitativer und quantitativer Hinsicht keinerlei strukturelle Merkmale, die für die Ausbildung bewusster Wahrnehmung notwendig seien. Rose komme zu der Schlussfolgerung, es sei höchst unwahrscheinlich, dass bei Fischen alternative funktionelle Systeme vorhanden seien, die die notwendigen Voraussetzungen für die Ausbildung eines Bewusstseins beherbergten. Insbesondere aus der in der Neurowissenschaft unstreitigen Tatsache, dass Schmerz grundsätzlich subjektiv empfunden werde, sei zwangsläufig zu folgern, dass ohne die Ausbildung eines Bewusstseins (das bei Fischen mit größter Wahrscheinlichkeit nicht vorhanden sei) auch kein Schmerz empfunden werden könne.

Zusammenfassend sei zur Schmerzempfindlichkeit festzustellen, dass zwar ohne Weiteres davon auszugehen sei, dass der Körper des Fisches das Auftreten von Schädigungen vieler Art registriere, diese Veränderungen vom Fisch jedoch nicht als Schmerz empfunden würden. Die Tatsache, dass der Körper eines Fisches auf die von ihm wahrgenommenen Reize (Nocizeption) mit einer Reaktion in Form einer Vermeidungsstrategie reagiere, könne somit nicht als Schmerz interpretiert werden. Vielmehr handele es sich hierbei um eine menschlich-subjektive Fehlinterpretation dieser Verhaltensweise.

Auch länger anhaltende erhebliche Leiden i. S. d. § 17 Nr. 2 b TierSchG lassen sich nicht begründen. Denn das Merkmal „Erheblichkeit“ setzt zur Abgrenzung von nichtstrafwürdigen Bagatellfällen gewichtige und gravierende Beeinträchtigungen voraus (BGH NJW 1987, 1833, 1834), die sich nach den Ausführungen des Sachverständigen nicht belegen lassen. Ebenso ist das Tatbestandsmerkmal „länger anhaltend“ im Hinblick auf den anfänglichen Fang- und Hälterstress nicht sicher festzustellen. Die im Beschluss des OLG Düsseldorf vom 20.04.1993 (NStZ 1994, 43 = NuR 1994, 517) lange Zeit geprägte und auch vom Deutschen Tierschutzbund e.V. zum Thema „Fische im Sport“ (Positionspapier anlässlich der Tagung in Bad Boll vom 07. – 09.04.2000) sowie von der Staatsanwaltschaft Hannover bisher vertretene (wohl) herrschende Meinung, die von erheblichen länger anhaltenden Leiden bei nicht nur kurzfristiger Setzkescherhaltung ausgegangen ist, lässt sich unter Berücksichtigung der neuen wissenschaftlichen Erkenntnisse nach den Ausführungen des Sachverständigen Günther aus mehreren Gründen nicht halten. Zwar sind Fische nach Auffassung des Gutachters unstreitig leidensfähig, wobei in der Forschung Übereinstimmung bestehe, dass das Empfinden des Leidens bei Fischen eng mit dem Stresssyndrom verknüpft sei, das durch verschiedene Parameter messbar sei.

Der Sachverständige Prof. Dr. Schreckenbach habe in seinem Gutachten, das er 1999 in dem Verfahren 204 Js 4811/98 vor dem Amtsgericht Rinteln erstattet habe, überzeugend dargelegt, dass die Gutachten der Sachverständigen Prof. Dr. Klausewitz (1991) und Schulz (1992), auf die das Oberlandesgericht Düsseldorf seine Bewertung gestützt habe, von unzutreffenden Voraussetzungen ausgegangen seien. Die Sachverständige Schulz habe aufgrund eigener Erkenntnisse aus Versuchen in einem Selbstkescher vorgetragen, die von ihr in einem senkrecht unter einem Angelkahn in einem aufgehängten Setzkescher gehaltenen Fische hätten über längere Zeit eine erhebliche Steigerung der Atemfrequenz gezeigt; außerdem seien vermehrt Schäden an der Körperoberfläche aufgetreten. Ein Setzkescher müsse aber grundsätzlich in horizontaler Richtung ausgelegt werden, so dass die Fische eine Wasserstrecke von ca. 3 m zum Schwimmen zur Verfügung hätten. Die Sachverständige Schulz habe den Setzkescher senkrecht ausgehängt, so dass die Fische nur den max. 0,5 m betragenden Durchmesser des Setzkeschers als Schwimmstrecke zur Verfügung gehabt hätten. Diese Versuche seien daher nicht repräsentativ gewesen. Der Sachverständige Prof. Dr. Klausewitz habe seine Beobachtungen an Weißfischen gemacht, die aus Wildfängen aus dem Edersee gestammt hätten, die unter nicht näher bekannten Bedingungen lebend in den Frankfurter Zoo transportiert worden seien, um dort als Tierfutter zu dienen. Aus diesem für die Durchführung von Versuchen kritischen Fischmaterial habe der Sachverständige einige ihm geeignet erscheinende Fische aussortiert, um sie anschließend in einem Aquarium in einem Setzkescher zu halten. Auch diese Versuchsbedingungen seien als ungeeignet einzustufen, wobei u. a. die ungeklärte Art und Weise des Fanges und die unreproduzierbaren Transportbedingungen zu kritisieren seien.

Der Sachverständige Günther hat weiter ausgeführt, Prof. Dr. Schreckenbach habe in seinem Gutachten 1999 erklärt, bei korrekter Anwendung eines Setzkeschers würden zwar „erhebliche Stressreaktionen“ bei den Fischen erzeugt, aber keine länger anhaltenden oder sich wiederholenden erheblichen Schmerzen i. S. d. § 17 Nr. 2 b TierSchG. In eigenen Untersuchungen des Sachverständigen Prof. Dr. Schreckenbach an Regenbogenforellen, Plötzen und Rotfedern im Setzkescher mit einem Bestandsgewicht von bis zu 30 kg/m³ sei unter näher beschriebenen Umständen ermittelt worden, dass die Fische durch die achtstündige Setzkescherhälterung keine Anzeichen von Adaptionskrankheiten bzw. Leiden und Schäden aufgewiesen hätten. Im Verlauf einer achtstündigen Hälterung würden die Stresssituation abklingen und sich die Fische vom anfänglichen Fang- und Hälterstress erholen. Zudem sei ermittelt worden, dass die Strömungsgeschwindigkeiten im Kescher, vermutlich aufgrund des Wasseraustausches und der dadurch verbesserten Sauerstoffzufuhr, den Erholungseffekt der gehälterten Fische im Vergleich zu einem Setzkescher im stehenden Wasser verbesserten. Es sei als unstreitig anzusehen, dass Fische keine Veränderung ihres Stoffwechselniveaus durch das Verbringen in einen Setzkescher erführen. Innerhalb eines achtstündigen Zeitraumes lägen die Veränderungen innerhalb eines Schwankungsbereiches, der den Schwankungen bei der Antwort auf normale physiologische Reize entspräche. Der Stoffwechsel der Fische nach Verbringen in einen Setzkescher sei somit als normal einzustufen. Das Fehlen normabweichender Änderungen des Stoffwechselniveaus sei ebenso wie das in anderen Untersuchungen dokumentierte Fehlen von Erregungszuständen (Erhöhung der Atemfrequenz, vermehrte Schwimmbewegungen) über einen Zeitraum, der länger als einige Minuten sei, als Beweis zu bewerten, dass den Fischen keine länger anhaltenden erheblichen Leiden zugefügt würden.

Schließlich hat der Sachverständige Günther darauf hingewiesen, die in früheren Verfahren zur Beurteilung herangezogene Tatsache, dass die Verwendung von Setzkeschern in einzelnen Landesfischereigesetzen untersagt sei, könne kein entscheidendes Kriterium mehr sein, weil bei der im Jahre 2002 in Kraft getretenen Novelle des Hessischen Fischereigesetzes das im alten Fischereigesetz enthaltene Verbot ersatzlos aufgehoben worden sei.
Zusammenfassend hat der Sachverständige Günther festgestellt, der vom Beschuldigten verwendete, 3,5 m lange und 0,5 m breite Setzkescher mit knotenlosem Gewebe sei als ordnungsgemäß einzustufen. Es habe sich unstreitig um einen sog. Schonsetzkescher gehandelt. Der Beschuldigte habe den Setzkescher auch ordnungsgemäß durch Einbringung in Strömungsrichtung benutzt. Ein Überbesatz des Keschers habe nicht vorgelegen.

Nach allem kann dem Beschuldigten ein Verstoß gegen § 17 Nr. 2 b TierSchG nicht nachgewiesen werden. Aus den gleichen Erwägungen scheidet auch eine Ordnungswidrigkeit nach § 18 Abs. 1 Nr. 1 TierSchG aus.

Das Verfahren ist deshalb gem. § 170 Abs. 2 StPO einzustellen.

Für die Richtigkeit: S. Pirch


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